Finde den Fehler
Um Ärzte in Haftung zu nehmen, sollten
Geschädigte einen Vergleich suchen. Nicht
nur, um mehr rauszuholen
Den Husten und die Atemnot ihrer 56-jährigen Patientin hatte die Ärztin in Köln falsch gedeutet. Es sei eine Erkältung, lautete ihr Befund, auch noch, als sie das Röntgenbild sah. Das war eine folgenschwere Fehldiagnose. Tatsächlich hatte die Medizinerin eine Lungenembolie bei der Beamtin übersehen, die daran fünf Tage später verstarb. Zurück blieben ihr Mann und zwei Kinder. Weil dem Witwer das Geld für einen Arzthaftungsprozess fehlte, bot er dem Prozessfinanzierer Foris an, einzusteigen. Der Deal: Das Unternehmen bekommt rund 30 Prozent der erstrittenen Summe, zahlt Gerichts-, Anwalts- sowie Gutachterkosten und besorgt spezialisierte Anwälte. Vorausgesetzt, die geforderte Schadenssumme liegt über 100 000 Euro.
Dass der Witwer die erreichte, bezweifelte Foris-Expertin Anke Warlich erst: „Denn das Schmerzensgeld betrug wegen der kurzen Leidenszeit nur 15 000 Euro.“ Das ergab die Urteilsrecherche in der Fachliteratur. Doch „oft ist Schmerzensgeld in Arzthaftungsfällen nur der kleinste Posten auf der Schadensliste“, sagt Medizinrechtsanwalt Lutz Böttger. Weil diese Spezialmaterie mit vielen möglichen Schadenspositionen und komplizierten Schadensberechnungen kaum ein Generalist durchdringt, ließ Warlich vom Fachanwalt für Medizinrecht nachrechnen – und der kam zu ihrer Überraschung auf 375 000 Euro Forderung.
Gerade wenn die Beweislage eindeutig ist und die Schadenshöhe feststeht, können geschädigte Patienten zuerst versuchen, den Versicherer ihres Arztes zum Vergleich zu bewegen. Ist ihr Anwalt hartnäckig und geht auf Konfrontation, sei einiges drin, erzählt ein Anwalt. Es zähle das Verhandlungsgeschick. Manche Versicherer werden gegen Unterzeichnung einer Verschwiegenheitserklärung großzügiger, wenn sie kein Urteil zu ihren Ungunsten riskieren wollen, das bei Veröffentlichung weitere Kläger auf den Plan ruft, sagt Sandra Peters vom Prozessfinanzierer Legial.
„Haben Patienten gar Verdienstausfälle oder hohe Kosten für behindertengerechte Hausumbauten, ist schneller Schadensersatz wichtig“, betont Anwalt Cornelius Thora von BLD. Doch wegen überlasteter Richter und Gutachter finde der erste Verhandlungstermin in der Regel frühestens zwei Jahre nach Klageeinreichung statt. Große Arzt- und Klinikversicherer gingen aus Prinzip zudem in zweite Instanz, wenn sie verlieren. Sie hofften auf ein günstigeres Urteil oder dass dem Kläger das Geld ausgeht. Dann sehe der Patient weitere zwei Jahre keinen Cent. „Ergeht ein positives Urteil für den Patienten nach zehn Jahren, ist die einst eingeklagte Summe dann wegen der Inflation zu niedrig“, gibt Expertin Peters zu bedenken.
Manchmal werden Klinikversicherer plötzlich verhandlungsbereit, wenn ein Prozessfinanzierer auftritt und tatsächlich eine Klage eingereicht wird. So wie bei den Erfolgsstorys, die Foris vor sechs Wochen über drei Vergleiche veröffentlichte: Für die Gehirnschäden, die ein Baby wegen Narkosepannen erlitt, bekamen Eltern über eine Million Euro; in zwei Geburtsschadensfällen 950 000 Euro und 780 000 Euro.
Die wenigsten Geschädigten kommen auf die Idee, Anwälten ein Pauschalhonorar anzubieten, damit diese ohne Gang zum Gericht versuchen, einen Vergleich mit der Klinikversicherung zu schließen. Der übliche Satz liegt bei 1800 bis 3000 Euro. Ein Sachverständigengutachten für rund 2500 Euro kommt stets obendrauf.
Warlich wundert sich immer wieder, welche Positionen Anwälten auffallen – und wie sie diese durchsetzen. Etwa den Schaden durch einen Schock, den Angehörige erleiden. Der Bundesgerichtshof urteilte kürzlich, dass dieser ansetzbar ist. Bei der wegen einer Lungenembolie verstorbenen Beamtin argumentierte der Anwalt so überzeugend, dass deren älteste Freundin 15 000 Euro für den Tod ihrer engsten Vertrauten von der Versicherung der Ärztin bekam. Gerichte billigten den Posten bislang nur Verwandten zu.